»Das ist möglich, aber nachdem Ihr Eure Missetat begangen hattet, warum habt Ihr mich dann damit belastet?« rief Cathérine. »Warum habt Ihr zugelassen, daß man mich anklagte? Ihr wußtet doch, daß ich den Tod riskierte.«
Josse schüttelte heftig den Kopf und war gar nicht beunruhigt.
»Nein. Ihr riskiertet viel weniger als ich. Ich bin ein armer Teufel und Landstreicher … Ihr, Ihr seid eine große Dame. Man hängt nicht so ohne weiteres eine große Dame. Und dann war da noch Eure Freundin. Die edle Dame war zu Eurer Verteidigung da … und die Bewaffneten. Ich wußte, daß sie Haare auf den Zähnen hatte. Während niemand meine Partei ergriffen hätte. Man hätte mich kurzerhand am nächsten Baum aufgeknüpft. Ich habe Angst gehabt … schreckliche Angst, die mir den Magen umdrehte. Ich glaubte, man würde den Diebstahl nicht sofort bemerken, würde die frommen Pilger nicht verdächtigen, und daß wir zumindest genügend Zeit haben würden, ein gut Stück Weges hinter uns zu bringen. Als ich die Mönche ankommen sah, wußte ich, daß ich verloren war. Also …«
»Also habt Ihr mir Eure Beute anvertraut«, beendete Cathérine ruhig den Satz. »Und wenn man mir trotz allem übel mitgespielt hätte?«
»Ich schwöre bei Gott, an den zu glauben ich nie aufgehört habe, daß ich mich gestellt hätte. Und wenn man mir nicht geglaubt hätte, hätte ich mich bis zum Tod für Euch geschlagen!«
Cathérine schwieg einen Augenblick und dachte über die Worte nach, die er soeben mit unerwartetem Ernst gesprochen hatte. Schließlich fuhr sie fort: »Jetzt die zweite Frage. Warum seid Ihr zu uns gestoßen? Warum kommt Ihr hierher, um Eure Schuld einzugestehen? Ich bin frei und in Sicherheit, und Ihr wart es auch. Indem Ihr hierherkommt, stellt Ihr alles wieder in Frage. Ihr wißt nicht, wie ich darauf reagieren und ob ich Euch nicht ausliefern werde.«
»Es war ein Risiko, das ich eingehen mußte«, entgegnete Josse, ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen. »Aber bei diesen blutdürstigen Psalmensängern wollte ich nicht mehr bleiben. Ich hatte genug von Gerbert Bohat und Messire Colin. In dem Augenblick, in dem Ihr nicht mehr da wart, hatte ich kein Interesse mehr an der Reise und …«
»Und du hast dir gesagt«, meinte Ermengarde höhnisch, »wenn das mit den Rubinen nicht geklappt hat, könntest du dir vielleicht den Smaragd der Königin schnappen. Denn du läßt dir bestimmt kein X für ein U vormachen, nicht wahr?«
Doch wieder hielt es Josse nicht für der Mühe wert, ihr zu antworten. Den Blick Catherines immer noch aushaltend, sagte er: »Wenn Ihr das denkt, Dame Cathérine, liefert mich ohne Zögern aus. Was ich Euch sagen wollte, ist dies: Ich habe Euch unrecht getan, um mein Leben zu retten, aber ich bedaure es sehr. Um es wiedergutzumachen, bin ich gekommen, Euch meine Dienste anzubieten. Wenn Ihr es gestattet, werde ich Euch folgen, Euch verteidigen … Ich bin zwar ein Landstreicher, aber ich bin tapfer und weiß mit dem Degen wie ein Standesherr umzugehen. Auf dem Weg, den Ihr verfolgt, braucht man immer einen tapferen Arm. Wollt Ihr mir also, zuerst, verzeihen und mich dann in Eure Dienste nehmen? Bei meinem Seelenheil schwöre ich, daß ich Euch treu dienen werde …«
Wieder folgte Schweigen. Josse, immer noch auf den Knien, rührte sich nicht, wartete auf Catherines Antwort. Diese, weit davon entfernt, zornig zu sein, fühlte sich durch diesen sonderbaren Jungen merkwürdig gerührt, der flagrante Unredlichkeit mit einer seltsamen Würde und unleugbarem Charme verband. Die verblüffendsten Dinge klangen von seinen Lippen ganz natürlich. Trotzdem glitt ihr Blick, bevor sie antwortete, zu Ermengarde hinüber, die mit zusammengepreßten Lippen ebenfalls schwieg, aber es war ein Schweigen von schlechter Vorbedeutung. »Was ratet Ihr mir, liebe Freundin?«
Die Edle zuckte aufbrausend mit den Schultern.
»Was soll ich Euch raten? Ihr scheint mit denselben Talenten begabt zu sein wie die Zauberin Circe. Sie verwandelte die Männer in Schweine. Offenbar macht Ihr's umgekehrt. Handelt, wie es Euch beliebt, aber ich kenne Eure Antwort schon.«
Während sie noch sprach, hatte Ermengarde endlich ihre Krücken gepackt, sich, Catherines hilfreiche Hand ablehnend, daran geklammert und war nach einer anerkennenswerten Anstrengung aufgestanden. Und als Cathérine erschrocken, fürchtend, sie habe sie beleidigt, fragte:
»Wohin geht Ihr, Ermengarde? Ich bitte Euch, nehmt mir nicht übel, was ich Euch sagen werde, aber …«
»Wo soll ich hingehen?« brummte die alte Dame. »Ich werde Béraud anweisen, ein wenig in der Stadt herumzubummeln, um noch ein Pferd für uns aufzutreiben. Dieser Junge hat vielleicht schnelle Beine, aber doch nicht schnell genug, um uns zu Fuß nach Galicia zu folgen!«
Worauf Ermengarde, mehr schlecht als recht auf ihre Krücken gestützt, einem hochbordigen Schiff mit starker Schlagseite ähnelnd, majestätisch den Hof der Herberge verließ.
3
Vierzehn Tage später überquerten Cathérine und ihre Eskorte, am Fuß der Pyrenäen angekommen, den Sturzbach Oloron auf der uralten befestigten Brücke von Sauveterre. Die Reise war ohne Zwischenfälle verlaufen, denn in den durchquerten Ländern, die zum größten Teil der mächtigen Familie der Armagnac gehörten, waren die Engländer kaum zu fürchten. Die befestigten Plätze, die sie noch in ihrer Gewalt hatten, lagen vorwiegend in Guyenne, und wenig erpicht, sich mit dem Grafen Jean IV. von Armagnac anzulegen, dessen Politik ihnen gegenüber sich seit einiger Zeit merkwürdig geschmeidig zeigte, hüteten sie sich wohl, auf seine Gebiete überzugreifen.
Über Cahors, Moissac, Lectoure, Condom, Eauze, Aire-sur-1'-Adour und Orthez hatten Cathérine, Ermengarde und ihre Leute endlich die Berge erreicht, die sie von Spanien trennten. Aber Catherines Geduld war am Ende. Seit man sich von den Pilgern Gerbert Bohats getrennt hatte, schien Ermengarde es auf einmal nicht mehr eilig zu haben, ihren Bestimmungsort zu erreichen. Sie, die noch am Tage vor ihrer Abreise Catherines Ungeduld angespornt und ihr überzeugend demonstriert hatte, warum es von Vorteil sei, die zu langsame Kolonne der Pilger hinter sich zu lassen – jetzt schien sie auf einmal ein boshaftes Vergnügen daran zu haben, ihren Marsch zu verzögern! …
Anfänglich hatte Cathérine keinen Verdacht geschöpft. Man hatte einen Tag in Figeac bleiben müssen, um Josse Rallard ein Pferd zu besorgen. Auch in Cahors hatte man zwei Nächte verbracht: Es war ein Sonntag, und Ermengarde versicherte, daß es kein Glück bringe, auf den Pilgerwegen den Tag des Herrn nicht zu achten. Das konnte man akzeptieren, und aus Freundschaft hatte Cathérine ihre Ungeduld gezügelt.
Als sich die Edle jedoch in Condom aufhalten wollte, um an einem Fest teilzunehmen, hatte die junge Frau sich nicht enthalten können zu protestieren.
»Vergeßt Ihr, daß ich diese Reise nicht zum Vergnügen mache und daß Feste mir völlig unwichtig sind? Ihr kennt meine Eile, nach Galicia zu kommen, Ermengarde. Wie kommt Ihr dazu, mir von lokalen Festen zu sprechen?«
Ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen, hatte Ermengarde, nie um eine Antwort verlegen, eingewandt, daß eine zu starke geistige Anspannung für das reibungslose Funktionieren des Körpers ungünstig sei und daß es heilsam sei, selbst in Eile, sich etwas Zeit zu lassen. Natürlich hatte Cathérine nichts davon hören wollen.
»In diesem Falle hätte ich lieber mein Gelübde halten und bei Gerbert Bohat bleiben sollen!«
»Ihr vergeßt, daß es nicht von Eurem Willen abhing, bei den Pilgern zu bleiben, meine Liebe!«
Cathérine hatte ihre Freundin neugierig angesehen.
»Ich verstehe Euch nicht, Ermengarde. Ihr schient begierig, mir zu helfen, und jetzt könnte man annehmen, daß Ihr Eure Meinung geändert habt!«
»Eben weil ich Euch helfen will, predige ich Euch Mäßigung. Wer weiß, ob Euch nicht noch grausame Enttäuschungen bevorstehen? In diesem Fall kommen sie immer noch früh genug!«
Diesmal hatte Cathérine nichts geantwortet. Die Worte ihrer Freundin entsprachen zu sehr ihren eigenen Ängsten, um nicht ein empfindliches Echo zurückzulassen. Dieses Unternehmen war wahnsinnig, sie wußte es wohl, und es war nicht das erstemal, daß sie sich vor Augen hielt, wie gering ihre Chancen waren, Arnaud zu finden. Oft, in der Nacht, in der tiefen Dunkelheit, in den dunklen und drückenden Stunden, in denen die verzehnfachten Ängste einen nicht schlafen lassen und das Herz klopft, ohne daß man es beruhigen kann, lag sie wach auf dem Rücken, die großen Augen aufgerissen, und versuchte, ihre Vernunft zum Schweigen zu bringen, die ihr riet, nach Montsalvy zu ihrem Kind zurückzukehren und dort mutig ein vollkommen Michel gewidmetes Leben zu beginnen. Mitunter war sie bereit nachzugeben, doch wenn der anbrechende Morgen die deprimierenden Gespenster verjagte, hing Cathérine nur noch verbissener der Verfolgung ihres Traumes nach: Arnaud wiederzusehen, und sei es auch nur einen Augenblick, einmal noch mit ihm zu sprechen. Dann …
Doch sie konnte sich immer weniger des unerfreulichen Eindrucks erwehren, daß sie bei ihrer Freundin statt Ermutigung, die sie so dringend brauchte, nur noch Skepsis und vorsichtige Ratschläge fand. Ermengarde, wie sie sehr wohl wußte, hatte Arnaud nie gemocht. Sie schätzte an ihm die alte Familie, die Tapferkeit und Begabung des Kriegsmannes, aber sie war von jeher überzeugt, daß Cathérine an seiner Seite nur Leid und Enttäuschung finden könnte.
An diesem Morgen jedoch, während die Hufe ihres Pferdes auf den Steinen der alten Brücke widerhallten, war nur Platz für Hoffnung im Herzen Catherines. Taub gegen das Donnern des schäumenden Sturzbachs, dessen weiße Wasser unter ihr rauschten, betrachtete sie mit größter Verblüffung die riesigen Berge, deren scharfgezackte Gipfel von blitzenden Schneehauben bedeckt waren. Für das Kind des flachen Landes, das sie war und das als Berge nur die sanften Hügel der Auvergne gekannt hatte, bildete diese gigantische Kulisse eine ebenso furchteinflößende wie erhebende Schranke, über die kein Weg zu führen schien. Sie konnte sich nicht enthalten, laut zu denken:
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