Sie hatte natürlich völlig recht. Dieses Gebiet war in der Tat ein sehr heißes Eisen. Wenn andererseits einer tatsächlich beweisen konnte ...

»Ich verstehe immer noch nicht«, sagte Jonas langsam, »wie es zu spontaner Parthenogenese kommen kann.«

»Da gibt es viele Möglichkeiten, Dr. Wade. Es ist nichts weiter erforderlich als die gleichen Umstände, die im Labor künstlich hergestellt werden. Als Auslöser zur Zellteilung ist nur ein Stimulus nötig, der den Platz des Spermiums einnimmt, wie die Kälte bei den Kaninchen. Der Kälteschock bewirkte bei den Eizellen des Kaninchens das gleiche, was das Spermium bewirkt. Bei Mäusen verwenden die Forscher Elektrizität als Stimulus, und es klappt, soviel ich weiß. Man kann wahrscheinlich auch einen chemischen Stimulus verwenden, der in den Blutkreislauf des weiblichen Tieres oder der Frau gelangt und mit der Eizelle in Berührung kommt. Im Labor haben wir nachgewiesen, daß es nicht schwierig ist, Parthenogenese künstlich auszulösen. In der Natur, Dr. Wade, braucht es lediglich eine ähnliche Situation, um spontane Parthenogenese herbeizuführen. Notwendig ist einzig ein Aktivator.«

Der Bericht aus dem Lancet fiel Jonas ein. Dr. Spurways jungfräuliche Mutter hatte behauptet, die Empfängnis hätte bei einem Bombenangriff im Krieg stattgefunden, daß sie in unmittelbarer Nähe mehrerer schwerer Explosionen gewesen und dadurch stark erschüttert worden sei.

»Nehmen wir einmal an«, fuhr Dorothy Henderson fort, »wir hätten es mit einer Frau zu tun, die behauptet, ihr Kind sei jungfräulich gezeugt. Dann müßte man intensive Untersuchungen anstellen, um zu bestimmen, durch welchen Stimulus die Parthenogenese ausgelöst wurde. Das müßte im Eliminationsverfahren zu machen sein.«

Jonas Wade schaute durch die Glaswand des kleinen Büros in das sterile Labor hinaus, wo künstliches, anormales Leben erschaffen wurde, und er sah wieder die kalten, starren Augen des Frosches Primus vor sich.

»Gut, Dr. Henderson, Sie haben mir gesagt, daß spontane Parthenogenese möglich ist, und das nicht nur bei den niedrigen Tieren, sondern auch bei den Säugetieren. Was den Aktivator angeht, so glaube ich nicht, daß er so wichtig ist wie der Beweis danach.«

Zum erstenmal runzelte Dorothy Henderson die Stirn. »Was meinen Sie mit >Beweis danach<?«

»Eine Frau behauptet, ihr Kind sei jungfräulich gezeugt. Welche Mittel besitzt die Wissenschaft, um den Nachweis zu erbringen, ob die Behauptung wahr oder unwahr ist?«

Dorothy Hendersons Gesicht entspannte sich wieder. »Das ist eine gute Frage, Dr. Wade. Bei unseren Fröschen brauchten wir natürlich nie Beweise. Wir sahen von Anfang an, wie sie entstanden. Doch wenn man die Sache von hinten aufrollen muß - hm, das ist nicht einfach. Jede verheiratete Frau hätte größte Schwierigkeiten, die Leute davon zu überzeugen, daß ihr Kind jungfräulich gezeugt wurde, auch wenn sie und ihr Mann schon seit langer Zeit keinen Geschlechtsverkehr mehr gehabt haben sollten. Und eine unverheiratete Frau könnte wohl niemanden überzeugen, daß sie nicht ein Verhältnis hatte. Parthenogenese beim Menschen ist mehr eine moralische als eine biologische Frage.«

Jonas Wade nickte und dachte dabei an den Selbstmordversuch Mary Ann McFarlands.

»Das Wort der Frau«, fuhr Dorothy Henderson fort, »steht hierbei gegen soziale Gepflogenheiten und Vorurteile. Sagen Sie Sex, und die Leute kichern hinter vorgehaltener Hand. Lassen Sie ein junges Mädchen behaupten, sie hätte nie etwas mit einem Mann gehabt, und die Leute zwinkern vielsagend. Etwas anderes wäre es, wenn sie, sagen wir, ein Magengeschwür hätte. Das hätte keinerlei gesellschaftliche Auswirkungen. Sie bekäme prompt ärztliche Hilfe und Anteilnahme von allen Seiten. Es verhält sich ähnlich wie bei der Geschlechtskrankheit. Schnappt man die Grippe auf, erhält man Teilnahme. Schnappt man eine Spirochäte auf, wird man geächtet. Und der einzige Unterschied liegt darin, wie es aufgeschnappt wurde. Sobald es um die menschlichen Fortpflanzungsorgane geht, stößt man bei den Menschen auf eine Mauer aus Ignoranz und Vorurteilen.«

»Ja, da haben Sie sicher recht. Aber was gibt es denn nun für wissenschaftliche Beweise für eine Parthenogenese?«

»Nun«, sie beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch und legte die Hände aneinander, »zunächst ist festzustellen, daß das Kind immer ein Mädchen ist.«

Jonas zog eine Augenbraue hoch.

»Kein Y-Chromosom.«

»Natürlich. Daran hatte ich nicht gedacht.«

»Danach gibt es die mikroskopische Untersuchung der Chromosomen, Hautverpflanzung und natürlich direkte Inaugenscheinnahme der Tochter.«

»Sie müßte das genaue Abbild der Mutter sein.«

»In jeder Hinsicht.«

»Und das ist alles?«

»Vorläufig ja. Bis die Wissenschaft weiter fortgeschritten ist. So, wie die Dinge gegenwärtig liegen, kann man nur die Töchter bestimmen, die nicht jungfräulich gezeugt wurden. Keine, bei der sich auch nur die geringste Abweichung von der genetischen Struktur der Mutter feststellen läßt, kommt in Frage. Die, bei denen genaue Übereinstimmung nachgewiesen wird, sind wahrscheinlich parthogenetisch. Das ist aber auch alles, was wir sagen können.«

Dorothy Henderson schwieg. Jonas Wades Verstand arbeitete fieberhaft. Er mußte nachdenken; er mußte das alles erst einmal aufnehmen, sichten, ordnen, um dann zu versuchen, sich ein klares Bild zu machen. Dorothy Henderson hatte einige beunruhigende Dinge gesagt, an die Jonas bisher überhaupt nicht gedacht hatte. Sie hatte von Dermoiden gesprochen. Jonas wußte, was das war; er hatte sie bei Operationen gesehen - scheußliche, schleimige Gebilde mit Haaren und Zähnen und Nervengewebe: eine entgleiste Eizelle, die alle Elemente enthielt, die ein vollkommenes menschliches Wesen ausmachten, aber in den falschen Proportionen. Ließ man es wuchern, so tötete es die Frau, in der es wuchs.

Der Artikel über die Truthennen fiel ihm ein. Eines der Tiere hatte sich nicht normal entwickelt; es war fast blind, mit verkrüppelten Klauen und schlechter Motorik zur Welt gekommen. An sich nicht weiter beängstigend, aber auf den Menschen bezogen erschreckend.

Alles mögliche, so schien es, konnte sich aus einer parthe-nogenetischen Eizelle entwickeln: vom Dermoiden bis zum halbblinden Kind. Oder - das Entsetzlichste überhaupt - eine lebende, atmende Mutation.

Die Vorstellung erschreckte Jonas Wade zutiefst und führte ihn zu einer Frage, vor der er zurückschreckte: War das, was in Mary Ann McFarland wuchs, wirklich ein normales Kind?

9


Es war der 1. Juli, ein glühend heißer Tag. Die drei Insassen des schweren Wagens schwitzten trotz der Klimaanlage. Keiner sprach ein Wort.

Eine Woche war vergangen, seit Mary aus dem Encino Krankenhaus entlassen worden war, und in dieser Zeit hatte sich nichts geändert. Nach vergeblichen Bemühungen, seine

Familie zusammenzuhalten und die Harmonie wiederherzustellen, hatte Ted sich zurückgezogen. Vier Abende war er in dieser Woche beim Training gewesen; die anderen Abende hatte er allein im Wohnzimmer gesessen und sich seinen Gedanken überlassen. Seine Tochter hatte er kaum gesehen, und wenn doch, so hatte er nicht gewußt, was er ihr sagen sollte. Die roten Narben an ihren Handgelenken und ihren Fingern waren ihm ständiger Vorwurf, ständige Erinnerung daran, daß er als Vater versagt hatte. Er hatte es nicht gewagt, sich ihr zu nähern, sondern hatte sie ihre eigenen Wege gehen lassen. Und auch sie hatte keine Annäherung gesucht. Es war, als lebte sie in einer anderen Welt.

Während sie jetzt auf dem Ventura Freeway dahinfuhren, dachte Ted an den einen Tag, den vergangenen Dienstag, wo sie es geschafft hatten, alle drei gemeinsam zu Pater Crispin zu gehen.

Schon um neun Uhr morgens war es sehr warm gewesen, und in Pater Crispins Büro gab es keine Klimaanlage. Das Gesicht des Priesters war ernst und teilnahmsvoll gewesen, als er gesprochen hatte.

»Ich finde, es ist eine kluge Entscheidung, Mr. McFarland, eine Entscheidung, die Mary sehr zugute kommen wird. Sie tun das Richtige. Schließlich können Sie Mary unter den Umständen nicht bei sich behalten.«

Ted warf einen Blick auf seine Tochter, die zusammengesunken in dem Sessel neben ihm saß. Ihr Gesicht war ausdruckslos, die blauen Augen wirkten wie erstarrt. Eine Sekunde lang wünschte er heftig, sie würde sich wehren, ihnen Widerstand leisten. Er sah sie an und hoffte auf einen Funken Zorn, sogar ein Wutanfall wäre ihm recht gewesen. Er wünschte, sie würde plötzlich lebendig werden und ihnen ins

Gesicht schreien, daß sie zum Teufel gehen könnten.

»Die Nonnen werden gut für sie sorgen«, fuhr der Priester fort und beobachtete dabei Marys Gesicht. »Es wird immer ein Priester da sein, so daß sie zur Beichte gehen kann, wenn sie sich endlich dazu entschließt. Und sie kann jeden Tag der Messe beiwohnen. An das Kloster angeschlossen ist eine Schule, die sie ab September besuchen kann. Bis zur Geburt des Kindes wird Mary also die Hälfte der zwölften Klasse hinter sich gebracht haben und nicht zurückgefallen sein. Es besteht kein Grund, warum sie danach nicht an die Reseda Highschool zurückkehren und im nächsten Juni mit ihrer alten Klasse zusammen die Schlußprüfungen machen kann.«

Pater Crispin stand auf und kam um seinen Schreibtisch herum. An die Schreibtischkante gelehnt, sprach er weiter.

»Alle Formalitäten sind erledigt. Ich habe mit Dr. Wade gesprochen, und er hat sich ebenfalls mit den Nonnen in Verbindung gesetzt. Normalerweise nehmen sie die Mädchen erst im vierten Schwangerschaftsmonat auf. Dr. Wade meint, daß Mary am Ende des dritten Monats ist, möglicherweise aber auch schon weiter. Auf meine und Dr. Wades Empfehlung hin haben sich die Nonnen bereit erklärt, Mary ausnahmsweise schon jetzt aufzunehmen. Mr. McFarland, die finanzielle Seite können Sie regeln, wenn Sie Mary nächste Woche hinbringen.«