»Das Konzept ist nicht neu, Dr. Wade. Seit Gottlieb Haber-landt, Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, experimentiert die Wissenschaft auf diesem Gebiet. Aber hier, bei den Amphibien, sind wir fürs erste an unsere Grenze gestoßen. Selbstverständlich würde die Wissenschaft gern zu den höheren Tieren übergehen, aber da fehlt es an der Technologie. Das Ei eines Säugetiers ist weit kleiner als das Froschei - ungefähr null Komma zwei Millimeter im Durchmesser, während das Froschei immerhin etwa drei Millimeter groß ist. Zu Versuchen mit der menschlichen Eizelle würden wir Spezialinstrumente brauchen, die noch nicht entwickelt sind. Aber ich bin überzeugt, daß es der Wissenschaft eines Tages gelingen wird, die Technik des Klonens auch beim Menschen anzuwenden. Es ist lediglich eine Frage der Zeit.«

Er hatte gelegentlich Berichte über derartige Experimente gelesen, aber er hatte keine Ahnung gehabt, daß man bereits so weit vorangekommen war.

Die Hände in den Taschen ihres weißen Kittels, stand sie da und überließ ihn einen Moment lang seiner Nachdenklichkeit. Dann lächelte sie und sagte: »Aber Sie sind nicht zu einem Schnellkurs im Klonen hierher gekommen, nicht wahr, Dr. Wade?«

»Nein«, bestätigte er. »Ich hätte allerdings nichts dagegen, gelegentlich wieder herzukommen, um mich von Ihnen eingehender unterrichten zu lassen.«

»Jederzeit, Dr. Wade. Ich bekomme so selten Besuch, da freue ich mich, wenn jemand sich für meine Arbeit interessiert. Ich schlage vor, wir gehen in mein Büro hinüber.«

Er folgte ihr in den kleinen verglasten Raum am Ende des Labors, wo es überraschenderweise sehr still war, nachdem sie die Tür geschlossen hatte. Sie setzte sich hinter ihren Schreibtisch und wartete, bis Jonas ihr gegenüber Platz genommen hatte.

»Ich kann Ihnen leider keinen Kaffee anbieten. Unsere Maschine ist kaputt, und eine neue können wir uns nicht leisten.«

»Das macht nichts«, erwiderte er lächelnd. »Kaffee ist mir im Augenblick nicht wichtig. Hat Bernie Ihnen gesagt, worum es mir geht?«

»Er sagte mir nur, daß Sie einige Fragen hätten, von denen er meinte, ich könne sie Ihnen beantworten.«

»Mein Interesse gilt der Parthenogenese, Dr. Henderson«, erklärte er. »Ich möchte wissen, ob es sie tatsächlich gibt oder ob sie nur ein abstraktes Konzept ist.«

»Oh, es gibt sie ganz entschieden, Dr. Wade. Der Wissenschaft ist seit langem bekannt, daß ein unbefruchtetes Ei sich zum Embryo entwickeln kann, wenn es durch ein Stimulans chemischer, physiologischer oder mechanischer Natur beeinflußt wird. Das ist viele Male im Labor nachgewiesen worden. Nachdem es einmal gelungen war, bei Fröschen und Kröten Parthenogenese auszulösen, gab es keinen Zweifel mehr, daß das gleiche bei allen Wirbeltieren möglich sein würde. In gewisser Weise führen wir hier in diesem Labor den Nachweis, daß es Parthenogenese gibt.«

Jonas spürte eine Erregung. Jetzt kam der entscheidende Moment; jetzt kam die Frage, die Bernie ihm nicht hatte beantworten können und die für ihn allesentscheidend war.

»Wie steht es mit den Säugetieren, Dr. Henderson? Ist da Parthenogenese möglich?«

»Ja«, antwortete Dorothy Henderson klar und sachlich.

Jonas war perplex. »Tatsächlich?«

»Ohne jeden Zweifel, Dr. Wade. Es sind reihenweise entsprechende Versuche gemacht worden. Vor allem mit Mäusen und Kaninchen. Die Eizellen werden stimuliert und beginnen darauf eine normale Entwicklung.«

»Was mich interessiert, ist nicht die im Labor herbeigeführte Parthenogenese, Dr. Henderson. Wissen Sie von Fällen, wo Parthenogenese bei Säugetieren natürlich vorgekommen ist?«

»Natürlich?«

»Spontan.«

»Hm ...« Sie hob die schmale Hand und rieb sich nachdenklich die Stirn. »Es ist vorgekommen, daß sich Eizellen von Katzen und Frettchen zu teilen begonnen haben, ohne von einem männlichen Samen befruchtet worden zu sein. Aber wenn Sie von spontaner Parthenogenese sprechen, Dr. Wade, dann heißt das, daß sie in einem unkontrollierten Milieu - in der Natur - stattfindet. Für uns gibt es da keine Mittel der Überprüfung. Außerhalb des Labors ist alles Spekulation.«

»Aber Sie können mir doch sicher sagen, wie es überhaupt zur Parthenogenese kommen kann.«

»Ich nehme an, Sie meinen, was gibt der Eizelle den Anstoß zur Furchung. Das wissen wir nicht, Dr. Wade. Wir wissen lediglich, daß ein Stimulus erforderlich ist, der das Verhalten des Spermiums imitiert. Sie wissen, Dr. Wade, daß das Spermium lediglich in die Eizelle eindringt und dadurch die Zellteilung auslöst. Wenn ein anderes Agens sich gleichermaßen verhalten kann, beginnt die Zellteilung. Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Natürlich aus dem Labor. Legen Sie unbefruchtete Eier des Seeigels in Meerwasser, geben Sie etwas Chloroform oder Strychnin dazu, und die Eier werden von selbst anfangen, sich zu entwickeln. Am Ende haben wir voll ausgereifte, normale Seeigel.«

Sie machte eine kurze Pause, dann fuhr sie fort. »Oder nehmen wir ein anderes Experiment. Dabei werden die Eizellen einem physiologischen Schock durch eine hypertonische Salzlösung unterworfen. Man gibt dem Wasser, in dem die Eizellen sich befinden, Magnesiumchlorid bei. Durch die hypertonische Wirkung der Lösung werden die Eizellen aktiviert, normale Furchung beginnt, und das Ergebnis sind wiederum gesunde, normale Seeigel. Genaue Abbilder des Muttertieres. Beim ersten dieser Beispiele haben wir es mit chemischer Stimulation zu tun, beim zweiten mit physiologischer Stimulation. Bei Fröschen löst man Parthenogenese durch Einführung fremden Proteins direkt in die Eizelle aus. Da haben wir eine Kombination von beidem: chemische Stimulation durch das Protein, physiologische durch den Nadelstich mit der Spritze.«

»Aber die Eizelle besitzt doch nur den einfachen Chromosomensatz, Dr. Henderson. Zur embryonalen Entwicklung ist aber der doppelte Chromosomensatz notwendig. Ich dachte immer, der zweite Satz wird durch das Spermium geliefert.«

Sie lächelte flüchtig. »Da haben Sie ganz recht, Dr. Wade. Bei der normalen Empfängnis verbinden sich die Chromosomen des Samens mit denen des Eis, wobei beim Menschen die Zellkerne der Geschlechtszellen dreiundzwanzig Chromosomen enthalten. Sie wissen, daß sich während der Reifungsphase, noch ehe es von einem Spermium befruchtet ist, das Ei teilt und ein zweites Polkörperchen abstößt, das die Hälfte der Zellchromosomen enthält. Bei der Parthenogenese stößt das reifende Ei aus irgendeinem unbekannten Grund dieses Polkörperchen nicht ab, sondern behält es; die Chromosomen, die in ihm enthalten sind, verbinden sich mit denen im ersten Polkörperchen. Das nicht ausgestoßene Polkörperchen wird im Effekt zum männlichen Zellkern und verschmilzt mit dem weiblichen Zellkern, und es bildet sich die Zygote. Wenn das Ei dann einem Stimulus ausgesetzt wird, chemischer oder anderer Art, setzt die Furchung ein, und da die Zelle die notwendigen sechsundvierzig Chromosomen enthält, kann das Ei normal reifen.«

»Was für Versuche mit Säugetieren hat man denn gemacht?«

»Das Verfahren ist einfach. Die Eizellen von, sagen wir Kaninchen, werden in ein Medium aus Blutplasma und Embryoextrakt eingelegt. Dann unterwirft man sie einem Kälteschock, und dadurch werden sie aktiviert. Die Eizellen, die sich zu teilen beginnen, werden in die Eileiter von Kaninchen eingeführt, die man vorher mit Schwangerschaftshormonen gespritzt hat, damit der Körper die transplantierten Zygoten nicht abstößt. Die Eizellen, die sich über das Blastozytenstadi-um hinaus entwickeln und nicht auf operativem Weg entfernt

werden müssen, gelangen im allgemeinen zur vollen Reife.«

»Dr. Henderson.« Jonas Wade hatte Mühe, seine Erregung zu beherrschen. Sie hatte ihm schon weit mehr gesagt, als er zu hoffen gewagt hatte. »Wie sieht es beim Menschen aus? Können Sie mir darüber etwas sagen?«

Ihre Miene blieb unverändert. »Aber gewiß. Spontan oder künstlich induziert?«

»Spontan.«

»Gut. Über menschliche Eizellen sind Hunderte von Studien gemacht worden, Dr. Wade, und bei einigen Untersuchungen stellte man fest, daß bei einer kleinen Zahl von Eizellen, die man den Eileitern entnahm, die Furchung bereits vor Verlassen des Eierstocks begonnen hatte; das heißt, ohne daß sie mit einem Spermium in Berührung gekommen waren. Ich glaube, die Rate belief sich ungefähr auf sechs von vierhundert. Einige Studien, die vor zwanzig Jahren in Philadelphia durchgeführt wurden, ergaben, daß ungefähr null Komma fünfundsiebzig Prozent aller menschlichen Eizellen sich bereits in parthenogenetischer Entwicklung befinden, ehe sie den Weg durch den Eileiter antreten. Doch die meisten dieser reifenden Eier werden bei der Ovulation oder der Menstruation ausgestoßen, oder aber sie wuchern zu Dermoiden oder Tumoren, die dann operativ entfernt werden. Es gibt Forscher, die behaupten, einige wenige dieser Eizellen entwickelten sich normal. Ein Wissenschaftler ging sogar so weit zu schätzen, daß auf tausend Geburten ein Fall von Parthenogenese komme.«

»Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!«

Dr. Henderson lachte. »Nein, Dr. Wade, ich zitierte lediglich einen Kollegen. In der Wissenschaft gibt es wie überall die Extreme. Andere Wissenschaftler zum Beispiel schwören Stein und Bein, daß Parthenogenese beim Menschen absolut unmöglich ist.«

»Wo stehen Sie?«

»Ich schließe die Möglichkeit jedenfalls nicht aus.«

»Und wie sieht es mit der Wahrscheinlichkeit aus?«

»Die meisten meiner Kollegen würden sagen, ein Fall bei einer Million Geburten. Ich neige zu einer Schätzung von eins zu fünfhunderttausend.«

Jonas starrte die Embryologin ungläubig an. »Aber das ist ja unfaßbar! Wieso ist darüber nicht mehr gearbeitet worden? Wieso gibt es keine Berichte? Das ist doch eine hochexplosive Sache.«

»Genau aus diesem Grund gibt es so wenig Material darüber, Dr. Wade. Weil die Sache explosiv ist. Wir sprechen hier von der menschlichen Sexualität, einem ganz heiklen Thema. Wenn Sie das Thema der Parthenogenese angehen, treten Sie damit nicht nur den Theologen auf die Zehen, sondern auch den Moralisten, den Psychologen und selbstgerechten Müttern und Vätern auf der ganzen Welt. Jeder Forscher, der mit diesem Thema an die Öffentlichkeit treten will, muß seine Theorie mit Beton untermauern können; er wird kämpfen müssen wie ein Berserker, und er muß gleich einen ganzen Sack voll Beweise präsentieren können. Sonst macht man ihn fertig. Hätten Sie den Mut, Dr. Wade?«