Noch immer unter ihrer Decke zusammengerollt, hielt Angélique die Lider geschlossen und schien zu schlafen.
Heroisch setzte Monsieur de Marillac das Verlesen der königlichen Botschaft fort:
»Unter folgenden Bedingungen wird die Unterwerfung Madame du Plessis-Bellières erfolgen müssen. Das Ungestüm der Mitglieder ihrer Familie, deren eines sich kürzlich sogar des Majestätsverbrechens schuldig gemacht hat, ist allzu bekannt, als daß die Unterwerfung nicht einer besonders nachhaltigen Form bedürfte, die durch beklagenswerte Beispiele auf die Bahn der Rebellion verlockte Geister zum Nachdenken veranlassen soll.
Da Madame du Plessis Uns öffentlich widersetzlich gewesen ist, hat die Sühne öffentlich zu erfolgen.
Sie wird sich in einer Kutsche mit schwarzbebänderter Peitsche nach Versailles begeben. Die Kutsche wird außerhalb des Gitters halten und nicht in den Ehrenhof einfahren dürfen.
Madame du Plessis wird bescheiden und in dunkle Farben gekleidet sein.
In Gegenwart des gesamten Hofes wird sie vor den König treten, vor ihm niederknien, seine Hand küssen und ihren Lehns- und Vasalleneid erneuern.
Darüber hinaus wird sie aufgefordert werden, der Krone eins ihrer Lehnsgüter in der Touraine zu schenken. Die Urkunden und Verträge dieser Übereignung müssen Unserem Großkämmerer als Zeichen der Huldigung und Abbitte im Laufe dieser Zeremonie überreicht werden. Von nun an wird Madame du Plessis-Bellière es sich angelegen sein lassen, ihrem Souverän mit einer Treue zu dienen, die wir Uns ohne Schatten wünschen. Sie wird in Versailles bleiben, die Titel und Ehren annehmen, mit denen sie zu belehnen Wir für richtig halten, was, wie Wir wissen, ihren Stolz härter ankommen wird als kein Amt zu empfangen. Sie wird aufs sorgfältigste ihre Amtspflichten erfüllen, kurzum, sich dem Dienst des Königs mit Ergebenheit widmen, sei es im Königreich, bei Hofe ...«
»... oder in seinem Bett«, vollendete Angélique.
Monsieur de Marillac erzitterte. Seit einigen Augenblicken war er von der Vergeblichkeit seiner Ansprache, die er an eine im Halbdämmer hoffnungsloser Krankheit vegetierende Unglückliche richtete, völlig überzeugt.
Der Einwurf Angéliques und der spöttische Blick, der durch ihre Wimpern filterte, bewiesen ihm jedoch, daß sie ausgezeichnet zugehört hatte und keineswegs so kraftlos war, wie sie vorgab. Die pergamentenen Wangen des Gouverneurs röteten sich, und er sagte trocken:
»Das steht nicht im Schreiben Seiner Majestät.«
»Gewiß, aber es ist stillschweigend darin enthalten«, erwiderte Angélique sanft.
Monsieur de Marillac kratzte sich den Hals und stotterte ein wenig, bevor er den Faden seiner Lektüre wiederfand:
». bei Hofe oder an welchem Ort auch immer, zu dem sie in seinem Dienst zu schicken es Seiner Majestät gefallen wird.«
»Könnt Ihr nicht zum Schluß kommen, Monsieur? Ich bin müde.«
»Wir auch«, bemerkte der Edelmann entrüstet. »Seht Ihr nicht, Madame, in welche Lage Ihr uns bei dieser Lektüre zwingt?«
»Ich sterbe, Monsieur.«
Ein boshafter Ausdruck glitt über das Gesicht des Grandseigneurs.
»Ich rate Euch, nicht zu lange zu sterben, Madame, denn Ihr dürft nicht glauben, daß die Nachsicht Seiner Majestät Euch gegenüber ewig währt. Mit dieser Warnung schließt in der Tat ihr Schreiben. Wißt also, Madame, daß Euch der König in seiner Güte mehrere Monate der Überlegung zubilligt, bevor er Euch endgültig als unverbesserliche Rebellin betrachtet. Ist dieser Zeitraum verstrichen, wird er unbeugsam sein. Wir sind im Mai, Madame. Der König weiß Euch krank, erschöpft. Er ist entschlossen, Geduld zu üben, aber wenn Ihr bis zu den ersten Oktobertagen die Euch auferlegten Bedingungen nicht erfüllt, um seine Verzeihung zu erlangen, wird er Eure Weigerung als offene Rebellion ansehen.«
»Was wird dann geschehen?«
Monsieur de Marillac entfaltete von neuem das Schreiben des Souveräns.
»Madame du Plessis wird arretiert und in eine Festung oder ein Kloster Unserer Wahl überführt werden. Ihre Wohnsitze werden versiegelt, ihre Schlösser, Häuser und Ländereien verkauft werden. Ihr verbleiben als Lehen und erblicher Besitz allein Schloß und Domäne du Plessis, die an Charles-Henri du Plessis, Sohn des Marschalls und Unser Patenkind, dessen Vormundschaft Wir übernehmen, fallen werden.«
»Und mein Sohn Florimond?« fragte Angélique erblassend.
»Er ist hier nicht erwähnt.«
Ein Schweigen breitete sich aus, in dem Angélique die befriedigten Blicke der Männer auf sich ruhen fühlte, die sie kaum kannte, denen sie nichts getan hatte und die dennoch sichtlich ihre Niederlage genossen, weil das Verlangen, die Schönheit am Boden und das gedemütigt zu sehen, was nicht im Staube kriechen will, zu den natürlichen Trieben des armseligen Menschen zahlt.
Für lange Zeit würde Madame du Plessis ihren kleinen, stolzen Kopf nicht mehr erheben, würde sie zwischen dem König und den Einflüssen, die andere Geister vergeblich auf ihn auszuüben versuchten, nicht mehr die Schranke ihrer smaragdenen Augen errichten. Sie würde in Versailles nur erscheinen, um sich einer schmerzlichen Prüfung zu unterwerfen, die ihren Hochmut für immer bändigen würde. Sie verlöre so ihre unbezähmbare Kraft, sie würde wie die andern werden: ein gelehriges Instrument, ausgeliefert geschickten Händen, die geschaffen waren, Seelen und Schicksale zu lenken. Hatte man es nicht schlau angefangen, dem König Unnachgiebigkeit zu empfehlen?
Monsieur de Solignac brach als erster das Schweigen mit salbungsvoller, leiser Stimme. Er hatte durch das lange Knien nicht gelitten, denn er war an endlose Gebete in der Verschwiegenheit seines Betzimmers gewöhnt, wenn er von Gott die Kraft zur Fortsetzung und Bewältigung des erschöpfenden und geheimen Werks erflehte, einer verderbten Welt sein göttliches Gesetz aufzuzwingen. Er erklärte, ihm scheine der Augenblick für Madame du Plessis-Bellière gekommen, ihre vergangenen Irrtümer zu überdenken und die Zeit, die ihr die Nachsicht des Königs ließe, zur Beibringung von Beweisen einer nachhaltigen Reue zu nützen. Würde der König ihr nicht für immer verzeihen, wenn sie ihm als Pfand die Bekehrung seiner Provinz Poitou überbrächte?
»Es ist Euch gewiß nicht entgangen, Madame, daß die sogenannte reformierte Religion in den letzten Zügen liegt. Ihre Anhänger schwören in großer Zahl ihren Irrglauben ab und kehren an den Busen der katholischen und apostolischen Mutterkirche zurück.
Allerdings gibt es noch einige Unbelehrbare, besonders in dieser abgelegenen und wilden Region, aus der Ihr stammt und in der Ihr Ländereien besitzt. Kapitän Montadour, einer unserer eifrigsten Bekehrer und zu diesem Zwecke seit mehreren Monaten hier, hat die größte Mühe, die Hugenotten Eurer Domänen dazu zu bringen, von ihren infamen Überzeugungen zu lassen. Wir hoffen, Madame, Eure Unterstützung bei diesem heiligen Werk zu finden. Ihr kennt die Bauern dieser Provinz, kennt ihre Sprache. Ihr seid ihre Lehnsherrin. Ihr habt mehr als ein Mittel, Eure hugenottischen Hörigen zum Verzicht auf ihre sträflichen Ketzereien zu zwingen. Ihr seht, Madame, welch noble Aufgabe Eurer wartet. Bedenkt, wie sehr der König, den Ihr beleidigt habt. Euch für die Hilfe beim Werk der Einigung seines Reiches, das er zum höheren Ruhme Gottes unternommen hat, Dank wissen wird .«
Was Monsieur de Marillac durch die königliche Botschaft nicht erreicht hatte, brachten die Mahnungen Monsieur de Solignacs zuwege. Angélique fühlte sich aus ihrem gespielten Dämmerzustand gerissen, setzte sich jäh auf und fixierte die Männer mit weit aufgerissenen, brennenden Augen.
»Ist die Bekehrung meiner Provinz in die Bedingungen Seiner Majestät eingeschlossen?«
Ein sarkastisches Lächeln entblößte die gelblichen Zähne Monsieur de Marillacs. »Nein, Madame«, erwiderte er, »aber sie ist stillschweigend darin enthalten.«
Gleichzeitig und mit derselben Bewegung neigten sich die Herren de Marillac, Solignac und Breteuil über sie. Montadour hätte es ihnen nachgetan, wenn ihn sein Bauch nicht daran gehindert hätte. Er beschränkte sich darauf, sich so weit vorzubeugen, wie es ihm eben möglich war. Eine andere Hoffnung als die, Angélique zu einer heiligen Mission zu bekehren, verursachte ihm heftigen Blutandrang. Er entdeckte nämlich, daß diese Halbtote, die vor ein paar Tagen, fast schon in ihr Leichentuch eingenäht, im Schloß eingetroffen war, verteufelt verführerisch aussah.
Die vier über sie geneigten Gesichter riefen Angélique die Alpträume aus den Tagen ihrer Gefangenschaft ins Gedächtnis zurück, als ihr im Schlaf befreiter Geist sie zu den noch nahen Erinnerungsbildern des Hofs von Frankreich zurückgeführt und sie die bedrückende, von Komplotten und Drohungen genährte Atmosphäre Versailles’ hatte spüren lassen, in die sich die Angst vor den in geheimen Winkeln ihre schwarzen Messen zelebrierenden Giftmischern und den weihrauchumwölkten Intrigen fanatischer Glaubensverbreiter seltsam mischte. Alles das, wovor sie geflohen war und was sie für immer verworfen hatte, gewann von neuem Gestalt und niederträchtig wirkende Kraft. »Madame«, murmelte Marillac, »gebt uns Beweise Eures Eifers, und wir werden Euch das Schlimmste ersparen. Wir werden uns bemühen, die Gnade des Königs für Euch zu erwirken. Wir könnten ihn, zum Beispiel, dazu bewegen, die Härten der Euch auferlegten Buße zu mildern. Vielleicht ließe sich die Kutsche außerhalb des Gitters vermeiden ... das schwarze Kleid ... der Vasalleneid ...«
Er war nicht ungeschickt. Er wußte, daß eine Frau wie Angélique die demütigenden Kleinigkeiten schlimmer empfinden mußte als etwa die Übereignung einer ihrer Domänen an die Krone. Sie erwarteten ihre Versprechungen und Verpflichtungen, während sie sich schon ihre Instruktionen zurechtlegten.
Doch sie entzog sich ihnen hochmütig.
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