Doch als sie in den Garten gelangte, war Florimond verschwunden. Sie entdeckte nur Charles-Henri, der vom Ufer des Teichs aus die Schwäne betrachtete. Der weiße Satin seines Anzugs leuchtete nicht weniger als das Federkleid der schönen Vögel, und sein Haar hatte den gleichen schimmernden Goldton wie die Blätter der Weide über seinem Kopf.
Irgend etwas in der Haltung der drei in der Nähe des Ufers wartenden Schwäne beunruhigte Angélique. Sie wußte, daß diese Tiere sehr tückisch waren und daß sie Kinder ins Wasser zogen, um sie zu ertränken. Sie lief rasch hinzu und nahm ihn bei der Hand.
»Bleib nicht so nah am Wasser, mein Liebling! Die Schwäne sind böse.«
»Böse?« fragte er, indem er seine blauen Augen zu ihr hob. »Sie sind doch so schön, so weiß .«
Seine rundliche Hand lag sanft und vertrauensvoll in der ihren. Er ging mit kleinen Schritten neben ihr her, ohne den Blick von ihr zu wenden. Sie hatte immer geglaubt, daß er nur Philippe ähnlich sähe, doch Gontran hatte recht. In dem ihr zugewandten rosigen Gesichtchen erkannte sie etwas, das sie an Cantor erinnerte, eine zarte Linie, eine Rundung des Kinns, die auch einigen der Sancé-Kindern eigen gewesen war: Josselin, zum Beispiel, Gontran, Denis, Madelon, Jean-Marie .
»Aber auch du bist mein Sohn«, dachte sie, »auch du, mein kleiner, lieber Junge.«
Sie setzte sich auf eine der Marmorbänke und zog ihn auf ihre Knie. Während sie zärtlich über sein Haar strich, fragte sie ihn, ob er brav gewesen sei, ob er mit Florimond gespielt habe und ob er schon auf einem Esel reiten könne.
Er antwortete:
»Ja, Mutter. Ja, Mutter.« Seine Stimme klang bewegt und zart wie die einer Flöte.
War er dumm? Gewiß nicht. In seinem von dichten Wimpern beschatteten Blick lag der rätselhafte, leise melancholische Ausdruck, den sie von seinem Vater kannte. War er nicht, was Philippe einstmals gewesen war: ein kleiner, einsamer Herrensohn auf dem Besitz, den er eines Tages erben sollte? Sie drückte ihn an sich. Sie dachte an Cantor, den sie sowenig verzärtelt hatte und der nun tot war. Das Leben verstrich in den machtgierigen Intrigen der Erwachsenen, und sie hatte nicht einmal Zeit ge-habt, eine gute Mutter zu sein. Früher, als sie noch arm gewesen waren, hatte sie mit Florimond und Cantor in dem kleinen Haus der Freibürger gespielt. Seitdem hatte sie sich wenig um Charles-Henri gekümmert, und das war schlimm, denn sie vermochte die Liebe nicht zu verleugnen, die sie für Philippe empfunden hatte. Eine andere Liebe als die zu ihrem ersten Mann, aber dennoch eine Liebe, in der sich die Erfüllung eines Jugendtraums, der Triumph über eine geglückte schwierige Eroberung und eine aus den Gemeinsamkeiten ihrer Kindheit, ihrer Herkunft gewachsene geschwisterliche Bindung mischten.
Sie hob sein Kinn und küßte ihn zart auf die runde Wange.
»Ich liebe dich sehr, mein Kleiner, du weißt es .«
Er rührte sich nicht mehr als ein gefangener Vogel. Ein verwundertes Lächeln öffnete die Lippen über seinen kleinen weißen Zähnen.
Florimond tauchte zwischen den Bäumen auf und näherte sich den beiden, auf einem Bein hüpfend.
»Wißt ihr, Söhne, was wir morgen anfangen werden«, sagte Angélique. »Wir werden unser ältestes Jagdzeug anziehen und alle drei in den Wald gehen, um Krebse zu angeln.«
»Bravo! Bravissimo! Evviva la mamma!« schrie Florimond, dem Flipot Italienisch beibrachte.
Es wurde ein wunderschöner Tag, an dem die Bitterkeit der Gegenwart und die Drohungen der Zukunft außer Kraft gesetzt schienen. Über ihnen schloß sich die goldgelbe Stille des Waldes. Die Sonne bewohnte ihn, widerstrahlend im Rot der Eichen, im Purpur der Blutbuchen, in dem wie zum Strauß gebündelten Kupfer der Kastanien. Die Früchte der Kastanien fielen ins Moos, aufgeplatzte Hüllen, in deren Innern es seidig-dunkel glänzte.
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